Das bidirektionale Laden ermöglicht den Energiefluss von E-Fahrzeugen in zwei Richtungen: aus dem Stromnetz über die Ladesäule ins Elektrofahrzeug oder aus einer Fahrzeugbatterie ins Stromnetz bzw. das eigene Haus.
Die Abhängigkeit von Wetterverhältnissen bei der Stromgewinnung durch Solar- und Windkraftanlagen stellt Wissenschaft und Technik weiterhin vor große Herausforderungen. Eine Überproduktion von erneuerbarer Energie an sonnen- und windreichen Tagen steht eine Unterversorgung des Energienetzes mit Erneuerbaren Energien an bewölkten und windstillen Tagen entgegen.
Die Technologie des bidirektionalen Ladens könnte eine Möglichkeit sein, dieses Problem partiell zu lösen und für Stabilität im Stromnetz zu sorgen.
Was ist bidirektionales Laden?
Das bidirektionale Laden ermöglicht den Energiefluss von E-Fahrzeugen in zwei Richtungen: Der Strom kann sowohl aus dem Stromnetz über die Ladesäule ins Elektrofahrzeug fließen als auch aus einer Fahrzeugbatterie wieder zurück ins Stromnetz oder in das eigene Haus. Die beiden Konzepte nennen sich dabei Vehicle-to-Home (V2H) und Vehicle-to-Grid (V2G).
V2H: Vom Auto ins Haus
Besonders effektiv ist das V2H-Szenario in Kombination mit einer Solaranlage, denn so fährt ein E-Auto mit sauberer Solarenergie und kann gleichzeitig als Stromspeicher dienen. Da die Akkus von Elektroautos über eine höhere Speicherkapazität verfügen als reguläre Hausbatterien, können sie ein Haus auch über mehrere bewölkte Tage hinweg mit sauberem Solarstrom versorgen.
V2G: Vom Auto ins Netz
Im großen Stil könnten rückspeisefähige E-Autos, angeschlossen an das öffentliche Stromnetz, zu einer landesweiten Batterie zusammengeschaltet werden. Da E-Autos 90 Prozent der Zeit stehen, ließen sie sich während der Standzeit effektiv als Energiespeicher nutzen. Gleichzeitig können große Mengen Ökostrom, die bei viel Sonne in Bayern oder viel Wind auf der Nordsee entstehen, in den Autos zwischengespeichert werden. Auf die Weise wird vor allem eine Überlastung der Stromnetze verhindert. Zudem muss der Strom dann nicht „weggeworfen“ werden, nur weil er nicht gespeichert werden kann. Die V2G-Technik ist ein wesentlicher Schritt hin zu mehr Energieeffizienz im Verkehr und zur klimaneutralen Energieerzeugung.
Die technischen Grundlagen: Wechselstrom & Gleichstrom
E-Autos werden mit Gleichstrom (DC = Direct Current) beladen und betrieben, unsere Stromnetze und Haushalte werden dagegen von Wechselstrom (AC = Alternating Current) angetrieben. Um aus Gleichstrom Wechselstrom zu machen, braucht es einen Wechselrichter, wie man ihn auch von Photovoltaikanlagen kennt. Umgekehrt kann der Wechselrichter für das Elektrofahrzeug Wechselstrom in Gleichstrom verwandeln. Diese Konverter sind entweder im Auto selbst oder in Wallboxen und Ladestationen eingebaut. Sie mussten bisher nur in eine Richtung funktionieren – vom Netz ins Auto.
Um bidirektionales Laden zu ermöglichen, lässt eine passende Software das Batterie-Management-System des Autos und der Wallbox respektive der Ladestation miteinander kommunizieren. Aber auch die Hardware wird für das bidirektionale Laden teilweise angepasst. Hier müssen die Hersteller der E-Autos und die der Ladeinfrastruktur wie Wallboxen, Ladestationen und Hausenergie-Management-systemen miteinander Lösungen erarbeiten. Normen und Vorgaben helfen dabei, ihnen eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu verschaffen.
Gut zu wissen: Normen gegen Unfallgefahr
Auch wenn wir täglich mit strombetriebenen Geräten umgehen, bleibt der Umgang vor allem mit Gleichstrom immer auch eine Gefahrenquelle. Im Rahmen des vom BMWK geförderten Verbundvorhabens „Förderung der Elektromobilität durch Standardisierung, Koordination und Stärkung der öffentlichen Wahrnehmung“ (ELSTA) soll eine Analyse der Gefahren und Risiken im Hinblick auf bidirektionale Energieflüsse durchgeführt werden.
Gefahren entstehen bei der Einspeisung von elektrischer Energie aus dem Fahrzeug in das Wechselstromnetz unter Verwendung einer AC- oder DC-Ladestation. Insbesondere der Fehlerstrom-, Überstrom-, Netz- und Anlagenschutz stehen hierbei im Fokus. Die Arbeit soll in enger Abstimmung mit dem zuständigen Arbeitskreis DKE/AK 353.0.401 „Bidirektionales Laden“ erfolgen. Die DKE begleitet den Ausbau der deutschen Ladeinfrastruktur ebenfalls durch den Technischen Leitfaden zur Planung, Errichtung und Installation von Ladeinfrastruktur.
Diese Vorteile bietet das bidirektionale Laden
Sowohl im V2G- als auch im V2H-Szenario eröffnen sich durch die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden viele Vorteile:
- Schwankungsausgleich: Der ungleichmäßig anfallende Strom aus erneuerbaren Energien kann gespeichert und geregelt wieder abgerufen werden.
- Flexibilität: Es ist viel schneller möglich, Strom aus den Auto-Batterien zur Verfügung zu stellen, als Kraftwerke hoch- oder runterzufahren.
- Geld verdienen: Ein Netzbetreiber bezahlt den Elektroautobesitzer, um sein Auto als Speicher nutzen zu können, erspart sich aber gleichzeitig die Errichtung und Nutzung teurer zentraler Speicher wie zum Beispiel Pumpkraftwerke.
Auch die Verwendung der bidirektionalen Ladetechnik in Verbindung mit einem eigenen Haus hat viele Vorteile:
- Photovoltaik rechnet sich viel besser: Mittlerweile lohnt es sich kaum noch, selbst erzeugten Solarstrom ins Netz einzuspeisen. Die großen finanziellen Vorteile liegen in der Eigennutzung des Stroms, die durch ein Elektrofahrzeug vielfach vergrößert werden kann.
- Großer Speicher: Ein Auto-Akku kann das Mehrfache einer Hausbatterie einspeichern und ein Haus über viele Tage mit Strom versorgen.
- Viel CO2 eingespart: Wenn sowohl Auto als auch Heizung mit Strom aus dem E-Auto-Akku betrieben werden, wird der eigene CO2-Fußabdruck extrem verringert.
Gegenwart & Zukunft: Anwendungen von bidirektionalem Laden
Während in Deutschland und Europa die Technik des bidirektionalen Ladens noch in den Kinderschuhen steckt, sammeln Japan und Korea bereits seit einigen Jahren praktische Erfahrung damit. Hier kommt primär das V2H-Szenario zur Anwendung, also die Auto-Batterie als Haus-Stromspeicher. Der Hintergrund dazu sind die relativ vielen Erdbeben, die in Japan immer wieder ganze Regionen von der Stromversorgung abschneiden. Im Katastrophenfall kann das Auto den Haushalt weiter versorgen.
Wann kommt das bidirektionale Laden nach Deutschland?
In vielen asiatischen Ländern ist der Standard für E-Fahrzeuge ein Ladekabel mit CHAdeMO-Stecker, der das bidirektionale Laden von Anfang an unterstützte. Die in Deutschland, Europa und Nordamerika üblichen CCS-Stecker müssen das noch lernen. Aber bereits für 2022 sind die ersten E-Auto-Modelle angekündigt, die auch mit der CCS-Steckertechnik bidirektional laden können. Dazu müssen aber auch Ladestationen, Wallboxen und Stromnetze neu konfiguriert werden, um die Kommunikation zwischen den beteiligten Komponenten zu gewährleisten.
Die aktuelle Herausforderung besteht darin, gemeinsame Schnittstellen zu definieren und die dazu notwendige Hard- und Software zu entwickeln. Wann genau das bidirektionale Laden in Deutschland nutzbar sein wird, steht allerdings noch nicht fest.
Welche Autos können bidirektional laden?
Automobilhersteller aus Fernost sind, wie bereits erwähnt, Vorreiter in Sachen bidirektionales Laden. Zur Nutzung der neuen Technologie ist jedoch nicht nur ein rückspeisefähiges Auto erforderlich. Eine entsprechend ausgerüstete Wallbox bzw. Ladesäule sowie eine einheitliche Software macht das bidirektionale Laden erst möglich.
Bidirektionales Laden auf der Teststrecke: Feldversuche in Deutschland & anderswo
Es wird aktuell viel geforscht und getestet, wenn es um den Einsatz des bidirektionalen Ladens geht. In vielen Feldversuchen wollen Wissenschaftler*innen, Hersteller und Kommunen die besten Lösungen für die verschiedenen Szenarien finden, um das Elektroauto für das Stromnetz oder das eigene Haus nutzbar zu machen.
Portugal:
Auf der portugiesischen Atlantikinsel Porto Santo testet ein Pilotprojekt seit 2019 das Zusammenspiel von Elektroautos, stationären Stromspeichern und erneuerbaren Energien. Ziel ist es, die Insel langfristig CO2-neutral mit Energie zu versorgen.
Schweiz:
In der Schweiz haben sich sieben Unternehmen zusammengeschlossen, um Lösungen dafür zu finden, wie eine rasant wachsende Anzahl von Elektroautos geladen werden kann. Hier arbeiten Carsharing-Anbieter, Auto-Hersteller, Ladestationen-Hersteller, Software-Entwickler und Universitäten zusammen. Der Projektabschluss ist für Ende 2023 geplant.
Deutschland:
Das Forschungsprojekt „Bidirektionales Lademanagement – BDL“ hat einen Feldversuch mit 50 für V2G umgerüstete BMW i3 begonnen. Mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung werden sowohl V2H- als auch V2G-Szenarien erprobt. In Stuttgart testet Porsche mit seinen elektrischen Modellen ebenfalls die möglichen Anwendungen. Nissan hat mit der Fraunhofer-Gesellschaft und Bosch das Projekt i-rEzEPT auf die Beine gestellt, hier sollen drei Feldtests an einem Firmenstandort, einem Gewerbedepot sowie in Einfamilienhäusern das Potential und die Probleme offenlegen. In Berlin führt Hyundai ein Projekt durch. Mit mehreren softwareseitig modifizierten Ioniq 5 sollen Erfahrungen gesammelt werden, wie sich der Strom mit dem Haus teilen lässt (V2H).
Bidirektionales Laden in der Normung
Der Arbeitskreis DKE/AK 353.0.401 „Bidirektionales Laden“ ist dafür verantwortlich, den Normungs- und Standardisierungsprozess bestmöglich auszurichten bzw. die Ergebnisse optimal für die Normung und Standardisierung anpassen zu können.
Es existieren bereits eine Vielzahl von notwendigen Normungsaktivitäten zum Handlungsfeld „Bidirektionales Laden“. Die Norm IEC 61851-1 enthält beispielsweise die Grundlagen für die Kommunikation zur Steuerung von Ladenvorgängen bei Elektrofahrzeugen. Neben Normen gibt es auch VDE Anwendungsregeln, die für den Anschluss von Ladeeinrichtungen wie Ladestationen oder Wallboxen entscheidend sind.
Der Betrieb von Ladeeinrichtungen wird je nach Anlage und Spannungsebene in verschiedenen Dokumenten geregelt:
- VDE-AR-N 4100 für Anlagen in der Niederspannung
- VDE-AR-N 4110 für Anlagen in der Mittelspannung
- VDE-AR-N 4120 für Anlagen in der Hochspannung
Für Elektrofahrzeuge, die künftig für das Rückspeisen von Energie aus dem Fahrzeug in eine an das öffentliche Netz angeschlossene Kundenanlage vorgesehen sind, ist zudem die VDE Anwendungsregel VDE-AR-N 4105 relevant.
Kritik & Probleme beim bidirektionalen Laden
Auch wenn die Szenarien für die Anwendung des bidirektionalen Ladens sinnvoll klingen, sind jenseits der hochkomplexen technischen Herausforderungen auch weitere Probleme zu beachten:
Regulatorische Vorgaben:
Traktionsbatterien sind aktuell nicht dafür freigegeben, Energie ins Netz zu speisen. Das betrifft im Moment fast alle Elektrofahrzeuge, hier muss nachgebessert werden.
Politische Vorgaben:
Das Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2030 mindestens 15 Millionen vollelektrische Autos auf deutsche Straßen zu bringen. Das Potential für V2G- und V2H-Nutzung ist also riesig, muss aber seitens der Politik auch mit entsprechender Gesetzgebung flankiert werden.
Verluste bei der Umwandlung:
Jede Umwandlung von Gleichstrom zu Wechselstrom und umgekehrt führt zu Verlusten, die zwischen 5 bis 15 Prozent liegen können. Auch wenn dies im Vergleich zu vielen anderen Speichermöglichkeiten ein guter Wert ist, besteht in Sachen Effizienz noch die Chance auf weitere Verlustminderung.
E-Auto-Hersteller:
Wenn die Auto-Batterie zu einem anderen Zweck als zum Fahren genutzt wird, kann je nach Hersteller die Garantie für die Batterie widerrufen werden. Da dies der mit Abstand teuerste Teil des E-Fahrzeugs ist, wird das die Besitzer davon abhalten, an V2H- und V2G-Konzepten teilzunehmen.
E-Auto Batterie:
Die Sorge der Hersteller ist nicht ganz unberechtigt. Durch ein Vielfaches an Be- und Entladungsvorgängen verliert die Batterie schneller an Kapazität und Leistungsfähigkeit als durch reinen Fahrbetrieb.
Soziale Frage:
Es wird auch kritisiert, dass wohlhabende Hausbesitzer mit Solaranlage und Elektroauto in der Lage sind, die stetig steigenden Energiekosten abzufedern, was Mietern und Geringverdienern verwehrt bleibt.
Bidirektionales Laden auf dem Vormarsch auch in Deutschland
Mit der Technologie des bidirektionalen Ladens werden die Bereiche Energie und Verkehr eng verzahnt, die bisher ohne große Schnittstellen nebeneinander existierten. Sie können durch bidirektionales Laden zusammen ein großes Synergie-Potential heben, das die Energiewende deutlich voranbringen kann.
Während das Konzept bereits in anderen Ländern angewendet wird, sind in Deutschland noch einige technische und regulatorische Hürden zu überwinden. Und da seitens der Bundesregierung Technologien gefördert werden sollen, die bei der Energiewende helfen können, wird auch beim bidirektionalen Laden bald mit großen Fortschritten zu rechnen sein.
Sind die digitalen Schnittstellen und andere nötige Technologien bereit, kann es mit der Umsetzung losgehen. Dazu gehören verbindliche Normen, die den Herstellern und Zulieferern eine einheitliche Arbeitsgrundlage geben.
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Beitragsbild: slavun / stock.adobe.com
Wir helfen Ihnen gerne weiter
Johannes Stein
DKE Experte All Electric Society
E-Mail: dke-community@vde.com
Marcus Krause
DKE Community Manager
E-Mail: dke-community@vde.com
4 Antworten
Die Kritik, dass die häufigeren Ladezyklen durch das Bidirektionale Laden die Lebensdauer der Batterie beeinträchtigen, ist bei neuen Fahrzeugen zu relativieren. Nach aktuellen Berichten von Testhäusern und Forschungseinrichtungen sind 1000 Ladezyklen ehr die Unterkante der Lebensdauer. Bei neuen Techniken wird gar von 2 – 3000 Ladezyklen geschrieben. Multipliziert mit der Reichweite, werden solche Batterien wohl das Fahrzeug überleben.
Vielen Dank für diesen Kommentar. Das hilft doch sehr diesen Aspekt in den richtigen Kontext zu setzen.
Das Community Management Team
Das freut mich, vielen Dank Max
Finde ich super!