Oleniczak, Annelie

Oleniczak, Annelie

Lektorat und Online-Redaktion

Die bunte Welt des Wasserstoffs

Eines ist sicher: Wasserstoff gewinnt eine zunehmende Bedeutung bei der nachhaltigen Energieversorgung. Welchen Beitrag Wasserstoff bei der Reduktion von Klimagasen leisten kann, hängt in erster Linie von der Produktionsweise ab. Dieser Beitrag skizziert, welche Optionen bestehen, wie die Perspektiven aussehen und was es mit der Wasserstoff-Farbenlehre auf sich hat.

Dies ist ein Gastbeitrag von Andrea Appel. Der Gastbeitrag gibt die Meinung der Autorin wieder und stellt nicht unbedingt die Meinung des VDE dar. Wenn auch Sie Interesse haben, hier einen Gastbeitrag zu veröffentlichen, dann schauen Sie sich unsere Seite “Wie werde ich Autor im VDE Blog?” an.

Nachhaltige Wasserstoffwirtschaft: Fokus auf den CO2-Fußabdruck

Die sieben Farben des Regenbogens nehmen sich geradezu bescheiden aus im Vergleich zur Farbenlehre des Wasserstoffs, die auf stattliche elf Abstufungen kommt – für fast jede Herstellungsart eine.  

Die Einteilung in ein Spektrum dient in erster Linie dazu, den jeweiligen CO2-Fußabdruck der jeweiligen Produktionsart einzuordnen und von weiteren Produktionsarten abzugrenzen. Aktuell ist diese Kategorisierung eher grob, da über die exakten Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette je nach Herstellungsweg noch keine Klarheit besteht. Daher kann es in der Bewertung der Produktionsverfahren künftig noch zu Verschiebungen und Neubewertungen kommen.

Allgemeiner Konsens besteht jedoch darüber, dass sich langfristig die Herstellungsmethode mit dem effizientesten Gesamtwirkungsgrad und den geringsten Emissionen durchsetzen soll.

Favorit grüner Wasserstoff

Der sogenannte grüne Wasserstoff erhält in Diskussionen zur emissionsarmen Energieversorgung nicht von ungefähr viel Aufmerksamkeit: Grüner Wasserstoff wird ausschließlich unter Einsatz von regenerativen Energiequellen wie zum Beispiel Wind, Sonne oder Wasserkraft in Kombination mit Elektrolyseanlagen gewonnen und gilt als besonders umweltfreundlich.  
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Herstellung von grünem Wasserstoff vollkommen CO2-neutral oder gar CO2-frei erfolgen kann. Im Lebenszyklus (Rohstoffbereitstellung, Bau, Recycling) von Erneuerbaren Energien Anlagen und Elektro-lyseuren entstehen ebenfalls Emissionen, die zu berücksichtigen sind.  Insofern wäre es angemessen, grünen Wasserstoff als CO2-arm einzustufen. 

Die CO2-neutrale Wasserstoffherstellung ist eine Illusion

Für alle H2-Herstellungswege gilt, dass eine CO2-neutrale Wasserstoffherstellung nur theoretisch möglich, praktisch jedoch schwer umsetzbar ist. Was genau ist überhaupt CO2-Neutralität oder Klimaneutralität? Die Definition lautet, dass nicht mehr Treibhausgase emittiert werden, als über natürliche Senken umgewandelt werden können.  Das heißt: Das Augenmerk hat sich auf den CO2-Fußabdruck pro Kilogramm H2 zu richten und wie dieser über natürliche CO2-Senken kompensieren wird. Im Idealfall wird dabei die gesamte Systemgrenze berücksichtigt – von der Wiege bis zur Wiege, Cradle to Cradle.  

Die meisten fälschlicherweise als CO2-frei eingestuften H2-Herstellungsverfahren könnten zumindest im Betrieb CO2-frei gelten. 

Grauer, brauner, schwarzer, blauer und türkiser Wasserstoff basiert auf fossilen Brennstoffen

  • Grauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen.
  • Brauner und schwarzer Wasserstoff wird unter Einsatz von Steinkohle oder Braunkohle hergestellt. Er ähnelt damit dem grauen Wasserstoff.
  • Blauer Wasserstoff wird wie grauer Wasserstoff produziert. Das entstehende CO2 wird beim blauen Wasserstoff jedoch mittels Carbon Capturing and Storage (CCS) aufgefangen und gespeichert oder durch Carbon Capturing and Utilization (CCU) zur Weiterverwendung abgetrennt.
  • Türkiser Wasserstoff ähnelt wiederum blauem Wasserstoff, wird jedoch durch Pyrolyse von Methan gewonnen. Dabei entsteht fester Kohlenstoff, CO2-Emissionen bleiben aus.
  • Blauer Wasserstoff wird als CO2-freie Übergangslösung im Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gesehen. Grundsätzlich ist zweifelhaft, ob die auf fossilen Brennstoffen basierende H2-Herstellung einen Vorteil in der Entschleunigung des Klimawandels bringt und Emissionen in der Gesamtwertschöpfungskette reduziert. Darüber hinaus ist es fraglich, ob die benötigten großen Investitionen in diese Technologie wirtschaftlich sind, wenn sie nur in einem Zeitrahmen von etwa zehn Jahren betrieben werden. Ein weiteres Gegenargument ist das Ziel, langfristig auf die Nutzung fossiler Energieträger zu verzichten.

Jedoch ist heute eine Stagnation von erneuerbaren Energiekapazitäten festzustellen – bei einer Elektrolyseleistung, die gegen Null tendiert. Der angestrebte Markthochlauf kann deshalb ohne blauen und türkisen Wasserstoff im angedachten Zeitrahmen nicht umgesetzt werden.

Oranger Wasserstoff basiert auf Biomasse 
Orangener Wasserstoff entsteht durch Vergärung oder Vergasung von Biomasse oder wird durch Elektrolyse mit Strom aus Müllheizkraftwerken hergestellt.  

Noch ohne Kategorisierung: Plasmalyse und Co.  
Bisher ohne klare Zuordnung ist der Herstellungspfad über Plasmalyse von industriellem Abwasser, Kunststoffen oder anderen Kohlenwasserstoffverbindungen. Die Technologie soll weniger energieintensiv sein als die Produktion mittels Elektrolyse. Wasserstoff als Nebenprodukt von Prozessen der Chemieindustrie wartet ebenfalls auf eine Kategorisierung. Ein Beispiel ist die Chloralkali-Elektrolyse.   

Weißer Wasserstoff aus geologischen Vorgängen 
Weißer Wasserstoff entstammt natürlichen beziehungsweise geologischen Vorgängen. Noch ist allerdings unklar, inwiefern die Nutzung dieser Vorkommen technisch und wirtschaftlich durchführbar ist. 

Alexander Limbach /stock.adobe.com

Treibhausgas Wasserstoff? 
Die Diskussion um die Nachhaltigkeit von H2 als Energiequelle führt auch zu der Frage, ob Wasserstoff möglicherweise klimaschädlicher als andere Treibhausgase ist. Fakt ist, dass Wasserstoff ein 6-Mal höheres Treibhauspotenzial als CO2 hat. Dabei spielen das Mengenverhältnis der Emission von CO2 im Vergleich zu Wasserstoff sowie der Emissionsort und die Reaktionsprodukte eine erhebliche Rolle, um bewerten zu können, wie schädlich die Wasserstoffemissionen im Verhältnis sind.  In Brennstoffzellen verwendeter Wasserstoff verursacht Wasserdampf, der ebenfalls Treibhauspotenzial hat. Auch beim  Verbrennen fossiler Energieträger entsteht Wasserdampf in Verbindung mit diversen weiteren Treibhausgasen. Die Frage wäre nun, bei welcher Anwendung mehr Wasserdampf entsteht. Dieses Verhältnis ist von größter Bedeutung.  Zusammenfassend ist festzuhalten, dass jedes Gas einen Einfluss auf die Atmosphäre hat. Folglich müssen jegliche Emissionen und ihre Effekte genau beobachtet werden – dies gilt auch für Wasserstoff.  

Bis zu 800 Terrawattstunden bis zum Jahr 2050

Der nationale Wasserstoffrat hat eine Metastudie in Auftrag gegeben. Zentrale Aussage: Aktuelle Studien gehen für Deutschland von einem Bedarf von 400 bis 800 Terrawattstunden Wasserstoff bis 2050 aus. Doch woher sollen diese enormen Wasserstoffmengen kommen? Zwar führt auch Deutschland Verhandlungsgespräche, hat Verträge geschlossen und Absichtserklärungen unterzeichnet. Doch ergeben sich Fragen, für die bislang keine Antworten vorliegen, zum Beispiel zum Transport über weite Entfernungen und die dabei entstehenden Emissionen. Auch politische Aspekte sind zu berücksichtigen: Wasserstoff hat das Potenzial, die geopolitischen Verhältnisse zu verändern – gegebenenfalls wäre Deutschland weniger auf die jetzigen Öl-Zuliefererländer angewiesen. Ideal wäre eine möglichst regionale Wasserstoffproduktion. Bei Bedarf sollte der Produktionsradius zunächst dann auf Europa ausgeweitet werden. Erst im nächsten Schritt wäre eine Versorgung mit Wasserstoff aus außer europäischen sonnenreichen Ländern zu erwägen. Dabei müsste vermieden werden, dass die H2-Versorgung Deutschlands in diesen Staaten zu einem höheren Verbrauch fossiler Brennstoffe führt, weil die erneuerbaren Energien exportiert werden. Auch die Nationale Wasserstoffstrategie sieht vor, dies zu vermeiden. 

Deutschlands Position: Außensicht und Binnensicht

Wie ist Deutschlands internationale Position im Bereich Wasserstoff zu bewerten? Je nach Blickwinkel ergeben sich ganz unterschiedliche Einschätzungen. Im Ausland gilt Deutschland als Vorreiter: Zum Beispiel im Bereich Tankstellen haben nur Japan und die USA noch besser ausgebaute Wasserstofftankstellennetze als Deutschland, die deutsche Expertise in den Bereichen Elektrolyse und Brennstoffzelle ist international anerkannt. Künftige Wasserstoffproduzenten wie Australien planen, die Herstellungstechnologie in Deutschland einzukaufen. Auch Japan und Neuseeland schauen nach Deutschland: derzeit werden diverse gemeinsame internationale Forschungspakete aufgebaut. Die deutsche Perspektive fokussiert hingegen auf die Gefahr, den internationalen Vorsprung zu verlieren. Bemängelt werden eine geringe Dynamik und mangelnde Effizienz in Forschung und Entwicklung. Fazit: Deutschland muss am Ball bleiben.

Zur Person

Andrea Appel ist Spezialistin für die Themen Wasserstoff und Wasserstoffwirtschaft. 

Die gelernte Kauffrau für Verkehrsservice (2007-2009) und Umweltingenieurin mit zwei Abschlüssen an der Hochschule Rhein-Main (Umwelttechnik B. Eng. und Umweltmanagement und Stadtplanung in Ballungsräumen M. Eng. 2011-2018) war zweieinhalb Jahre (2018-2020) in der Solar-, Wind- und Batteriespeicherbranche tätig, bevor sie Teil des VDE Teams wurde und hier als Projektmanagerin Wasserstoffentwicklung die Themen rund um Wasserstoff leitet.

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  • Grauer Wasserstoff wird mittels Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen.
  • Brauner und schwarzer Wasserstoff wird unter Einsatz von Steinkohle oder Braunkohle hergestellt. Er ähnelt damit dem grauen Wasserstoff.
  • Blauer Wasserstoff wird wie grauer Wasserstoff produziert. Das entstehende CO2 wird beim blauen Wasserstoff jedoch mittels Carbon Capturing and Storage (CCS) aufgefangen und gespeichert oder durch Carbon Capturing and Utilization (CCU) zur Weiterverwendung abgetrennt.
  • Türkiser Wasserstoff ähnelt wiederum blauem Wasserstoff, wird jedoch durch Pyrolyse von Methan gewonnen. Dabei entsteht fester Kohlenstoff, CO2-Emissionen bleiben aus.
  • Blauer Wasserstoff wird als CO2-freie Übergangslösung im Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gesehen. Grundsätzlich ist zweifelhaft, ob die auf fossilen Brennstoffen basierende H2-Herstellung einen Vorteil in der Entschleunigung des Klimawandels bringt und Emissionen in der Gesamtwertschöpfungskette reduziert. Darüber hinaus ist es fraglich, ob die benötigten großen Investitionen in diese Technologie wirtschaftlich sind, wenn sie nur in einem Zeitrahmen von etwa zehn Jahren betrieben werden. Ein weiteres Gegenargument ist das Ziel, langfristig auf die Nutzung fossiler Energieträger zu verzichten.


Jedoch ist heute eine Stagnation von erneuerbaren Energiekapazitäten festzustellen – bei einer Elektrolyseleistung, die gegen Null tendiert. Der angestrebte Markthochlauf kann deshalb ohne blauen und türkisen Wasserstoff im angedachten Zeitrahmen nicht umgesetzt werden.

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