Dies ist ein Gastbeitrag von Dr.-Ing. Michael Schwan. Der Gastbeitrag gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht unbedingt die Meinung des VDE dar.
Höhere Flexibilität: immer mehr konventionelle und erneuerbare Erzeuger entdecken den wirtschaftlichen Vorteil von Speichersystemen
Oleniczak: Guten Morgen Herr Dr. Schwan. Als Leiter des globalen Beratungsgeschäftes Power Technologies International mit 200 Fachleute verantworten Sie bei der Siemens AG die Bereiche Energy Business Advisory and Power System Consulting. Sie unterstützen nicht nur die technische Arbeit in ausgewählten Beratungsprojekten für Kunden in aller Welt, sondern bringen auch das Portfolio Innovation und damit das Geschäftswachstum der Siemens AG voran. Darüber hinaus sind Sie auch Vorsitzender der energietechnischen Gesellschaft (ETG) im VDE. Hier umfasst Ihr Aufgabenbereich auch Energiesysteme und Speicher. Wie beurteilen Sie den wirtschaftlichen Nutzen von Speichern für das zukünftige Energiesystem?
Dr. Schwan: Wirtschaftlich gesehen wird sich nur durchsetzen, was dem Eigentümer oder Betreiber auch Geld einbringt. Speicher bieten durch ihre Flexibilität gesamtwirtschaftliche Vorteile. Besonders bei Batteriespeichern, aber auch bei vielen thermischen Speichern ist das Laden und Entladen schnell und problemlos steuerbar. Genau diese Flexibilität brauchen wir bei der Energiewende. Speicher sind zwar immer noch sehr teure Betriebsmittel aber für ein Energiesystem sehr gut geeignet und schnell zu installieren. Darum lohnt es sich, sie unter den gesamtwirtschaftlichen Aspekten als festen Bestandteil unserer Energiesysteme einzuplanen.
Oleniczak: Wer aus Ihrer Sicht sollte oder darf in Zukunft denn Speicher betreiben?
Dr. Schwan: Deutschland ist ein freies Land. Jeder darf mit seinem privaten Eigentum tun und lassen was er will. Im privaten Bereich werden wir mit Sicherheit die höchste Anzahl an Speicherinstallationen haben. Hausbesitzer haben in den letzten Jahren die meisten Hausdach-PV-Anlagen installiert, hauptsächlich in Kombination mit einem kleinen Speicher, um die Eigenversorgung zu optimieren. Auch die Zahl der Installationen bei Gewerbe- und Industriekunden nimmt deutlich zu. Dies ist besonders häufig der Fall, wenn ein technischer und wirtschaftlicher Vorteil damit verbunden ist.
Man sieht, dass sich sowohl konventionelle als auch erneuerbare Erzeuger in unseren Energiesystemen zunehmend für Speichersysteme entscheiden. Die Gründe dafür sind mehr Flexibilität in der Bedienung von Anwendungen und eine bessere Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen. Thermische Speicher sind bei uns bereits üblich, aber im Stromnetz wird es noch mehr Speicher-Installationen geben. Hier liegen wir in Deutschland derzeit noch etwas zurück, da bis vor kurzem noch paar Regulierungsänderungen fehlten. Aber wir holen jetzt auf.
Effizienzsteigerung in der Energieversorgung durch Speicher
Oleniczak: Es hat also einen technischen und einen wirtschaftlichen Vorteil für die Industrie, wenn sie mehr Speicher installieren?
Dr. Schwan: Ja, genau. Die Installation von Speichern ermöglicht dynamische und vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Man kann so zum Beispiel die Qualität industrieller Prozesse verbessern, wodurch die die Effizienz der Energieversorgung gesteigert werden kann. Gerade im privatwirtschaftlichen Sektor werden auf diese Weise wirtschaftlich rentable und investitionssichere Geschäftsmodelle ermöglicht.
Oleniczak: Apropos Geschäftsmodelle. Was ist dabei zu beachten?
Dr. Schwan: Die technischen Vorteile eines Speichers sieht man hauptsächlich im privaten Bereich, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Um auch im Energiesystem die technischen Vorteile nutzen zu können, müssen Geschäftsmodelle definiert werden. Zu beachten ist hier besonders die Kommunikation. Es genügt nicht, einen Speicher auf privatwirtschaftlicher Seite zu installieren, er muss auch ansprechbar sein und Steuersignale empfangen können. Bei der kommunikationstechnischen Anbindung der privaten Leitsysteme mit denen auf der Netzseite fehlen noch grundlegende Konzepte. Hier ist also noch Handlungsbedarf denn eine Kommunikation zwischen dem deutsche Übertragungsnetz und den zwei Millionen Hausdach-PV-Anlagen inklusive deren angeschlossenen Speichern wäre nicht sinnvoll. Da wird es noch einige Marktentwicklungen geben müssen.
Netzbooster: Vorbilder Australien und Chile
Oleniczak: In unserem Vorgespräch erwähnten Sie Chile, ein Kraftwerk in Australien und die Tesla-Batterie. Kann sich Deutschland etwas von anderen Ländern abschauen oder sind wir im internationalen Vergleich schon gut aufgestellt?
Dr. Schwan: In puncto Flexibilität haben wir sicher einen großen Bedarf, auch im internationalen Vergleich, denn wir haben eine sehr hohe absolute Kapazität von erneuerbarer und damit fluktuierender Erzeugung. Hier hilft uns auch der Austausch im europäischen Verbundsystem. Bisher sind wir im Speichereinsatz oder bei Leuchtturmprojekten nicht gerade Weltspitze. Vorbild ist die soeben installierte große Tesla-Batterie in Australien, die Hornsdale Power Reserve, mit einer Leistung von knapp 200 Megawattstunden, die die Netzstabilität in Australien sehr erfolgreich unterstützt. Mit dem im Bau befindlichen und ca. 250 Megawattstunden starken Netzbooster in Kupferzell holen wir in Deutschland auf. Dennoch bleibt Australien uns überlegen, denn in Victoria wird bereits an 300 – 450 Megawatt-Speichern gebaut. Aber auch in Deutschland wird Kupferzell nicht unser letzter Speicher bleiben.
Überraschend ist, dass in Deutschland bereits ein nennenswerter Anteil der Regelleistung, die formal von konventionellen Kraftwerken erbracht werden, faktisch aus Speichersystemen kommt. Das heißt, dass konventionelle Kraftwerke bereits über Speichersysteme verfügen, da so eine technisch bessere und wirtschaftlich effizientere Regelleistung bereitgestellt werden kann. Hier holen wir also auch schon auf. Chile war aufgrund seiner speziellen technischen Anforderungen und auch der Regulierung viel fortschrittlicher, denn dort kommt seit vielen Jahren der Großteil der Regelleistung bereits aus Batteriespeichersystemen. Man sieht also was technisch machbar ist. Insbesondere wenn wir es mit unseren vielen kleinteiligen Erzeugungsanlagen wie zum Beispiel den Hausdach-PV-Anlagen mit Batteriespeicher im Keller schaffen, diese kommunikationstechnische Anbindung an Netzleitsysteme hinzubekommen, sodass netzdienliche Geschäftsmodelle sich etablieren können, dann bringt uns das im internationalen Vergleich einen großen Schritt nach vorn.
Mehrfachnutzung von Speichern: Optimale Nutzung durch die richtigen Voraussetzungen im Bereich Geschäftsmodelle, Kommunikation und Leittechnik
Oleniczak: Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass die Speicher mehrfach genutzt werden?
Dr. Schwan: Das ist auf jeden Fall sinnvoll. Speicher sind teure Betriebsmittel und werden es auch auf absehbare Zeit bleiben, auch wenn die Preise gerade etwas fallen. Volkswirtschaftlich gesehen sollten sie daher möglichst umfassend und effizient genutzt werden. Außerdem ist der Großteil der Speicherkapazität in Deutschland heute noch nicht so umfassend wie viele es gerne hätten – auch vor diesem Hintergrund bietet sich eine Mehrfachnutzung an. Vorrangig werden Speichersysteme im privaten Bereich installiert, um die Anwendungsfälle der Endkunden zu realisieren. Es gibt allerdings mittlerweile genug Forschungsergebnisse so dass es leicht möglich ist, die privaten mit den netzdienliche Anwendungsfällen zu verknüpfen. Werden die notwendigen Voraussetzungen im Bereich Geschäftsmodelle, Kommunikation und Leittechnik geschaffen, dann können wir die Betriebsmittel optimal für das Gesamtsystem nutzen.
Oleniczak: Herzlichen Dank, Herr Dr. Schwan.
Zur Person
Dr.-Ing. Michael Schwan ist seit 2018 Head of Power Technologies International bei der Siemens AG und verantwortet hier die Bereiche Energy Business Advisory and Power System Consulting. Seit 2020 ist er zudem Vorsitzender der energietechnischen Gesellschaft (ETG) im VDE.
Schwan studierte von 1993-1998 Electrical Power Engineering (EPEN) an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo er auch promovierte. Von 2001 bis 2005 arbeitete er als Leiter Systemstudien und Weiterbildung bei der Forschungsgemeinschaft für Elektrische Anlagen und Stromwirtschaft (FGH e.V.) in Mannheim und wechselte 2005 zur Siemens AG in Erlangen.
Eine Antwort
Aus technischer Sicht stimme ich Herrn Schwann 100% zu. In Deutschland und leider auch in Europa sind es nicht die technischen Hürden, die eine schnellere Umsetzbarkeit erschweren. Regulatorische und juristische Hürden sowie eine von alten Mindsets geprägte Überbürokratisierung sind massgebliche Risikofaktoren, die uns mittelfristig die Systemführerschaft im weltweiten Vergleich auch in dieser Domäne kosten werden. Gerade in der öffentlichen Diskussion – und die Presse spielt hier eine im positiven als auch negativen Sinne Multiplikator-Rolle, wünsche ich mich wieder faktenbasierten Expertendiskussionen, denn populistische Angriffe auf rhetorisch geschulter aber oftmals emotionaler, fachlich inkompetenter Ebene. Der VDE steht hier klar für Expertenwissen, welches sachliche und neutrale Orientierung nicht nur aber besonders in Fragen rund um nachhaltige Energiesysteme garantiert.