Deutschland möchte bis 2045 alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche dekarbonisieren. Die All Electric Society (AES) ist das Zukunftskonzept, um dieses Ziel zu erreichen. Mit ihm werden die Energiesysteme zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien, effiziente und überwiegend elektrische Prozesse umgestellt.
Damit sind große Herausforderungen verbunden: Bisher fossile Verfahren, Produkte, Geräte und Systeme müssen transformiert werden. Die technischen Grundlagen sind weitgehend definiert. Politik, Verbände und Unternehmen treiben die Entwicklung, unterstützt von Normungsorganisationen wie DKE, DIN und IEC.
Das Zukunftskonzept der AES erfordert eine umfassende Elektrifizierung der Sektoren Mobilität, Gebäude, Industrie, Energieerzeugung und öffentliche Infrastruktur. Voraussetzung einer AES sind die Digitalisierung und Automatisierung sowie Vernetzung und Kopplung aller Sektoren. Der zentrale Lösungsansatz der AES möchte daher die bisher getrennten Technologiebereiche der Sektoren für einen multidirektionalen Energie- und Informationsaustausch vernetzen. Dadurch lässt sich das volatile Stromangebot aus erneuerbaren Quellen effizienter und nachfrageorientiert verteilen und damit Netzstabilität und Versorgungssicherheit gewährleisten.
Für die Sektorenkopplung sind zunächst standardisierte Schnittstellen für den Austausch von Energie und Informationen notwendig. Und welche Daten und Energieformen künftig zwischen den Sektoren ausgetauscht und verwertet werden, zeigen Anwendungsfälle.
Elektrifizierung der Sektoren ist eine Herkulesaufgabe
In der Normung arbeiten die Experten für die Vorbereitung neuer Standards mit sogenannten „Use Cases“. Solche Anwendungsfälle beschreiben zunächst die beispielhafte Prozesse und Anwendungen der Sektorenkopplung. Daraus lassen sich im Verlauf einer Normungsroadmap beziehungsweise einer SCM wie dieser neue Normungsbedarfe ableiten. Für die fünf Sektoren und die Power-to-X-Anwendungen kann das weitreichende Implikationen haben.
1. Infrastruktur
Insbesondere die kritischen Infrastrukturen, wie Gesundheitswesen, Telekommunikation, IT und Rechenzentren, sind auf eine sichere Energieversorgung angewiesen. Aber auch in diesen Bereich wie auch in anderen Infrastrukturbereichen zeigen Anwendungsfälle, wie ein gezieltes, z. T. sektorübergreifendes Energiemanagement zur Energieeffizienz und zu einem optimierten Betrieb der Energiesysteme beitragen können.
2. Mobilität
Der Energieverbrauch für die Mobilität liegt in einer wesentlichen Größenordnung unseres Gesamtenergiebedarfs und basiert heute noch im Wesentlichen auf fossilen Energieträgern. Die Dekarbonisierung dieses Sektors mit Hilfe von erneuerbaren und im Wesentlichen elektrischen Energien bedeutet ein bereits sichtbaren Umstieg auf elektrische Mobilität in vielen Bereichen. Die Elektrifizierung der Mobilität erfordert den weiteren Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Entwicklung von effizienten Elektrofahrzeugen.
Neue Speicher- sowie Power-to-Mobility-Technologien, Power-to-Gas wie Wasserstoff und Power-to-Liquid wie E-Fuels werden weiterentwickelt – auch für die flächendeckende Versorgung in allen Bereichen der Mobilität. Nicht genutzte Fahrzeuge können ihre Speicher für netzdienliche Aufgaben bereitstellen.
3. Gebäude
Die Wärmebereitstellung von Gebäuden ist eine weitere wesentliche Energienutzung, die auf erneuerbare Energien umgestellt werden wird. Die Elektrifizierung der Wärmeerzeugung, beispielweise durch Wärmepumpen, nutzt energieeffizient „grünen“ Strom.
In der AES übernehmen Gebäude im Rahmen der Sektorenkopplung viele weitere Funktionen und interagieren mit anderen Systemen: Photovoltaik-Anlagen und Energiespeicher unterstützen die Energieversorgung; Wallboxen und Ladeinfrastruktur dienen der Elektromobilität der Gebäudenutzer und Bewohner sowie Wärmepumpen der Wärme- bzw. Kältebereitstellung.
Diese und viele weitere Geräte können zukünftig über Energiemanagement- und Automatisierungssysteme gesteuert und auch über Gleichstromnetze energieeffizienter verbunden werden. Gebäudeautomation und Energiemanagement sind entscheidend, um die Energieverteilung und -nutzung im Gebäude selbst zu optimieren und durch die Bereitstellung von Flexibilitäten das Management der übergeordneten Energiesysteme zu unterstützen.
4. Energieerzeugung und Energieumwandlung
Die Primärenergieerzeugung in der AES basiert im Wesentlichen auf erneuerbaren, elektrischen Energiequellen wie Photovoltaik, Windenergie, Wasserkraft und Meeresenergie. Die Entwicklung und Aufbau von Smart Grids und Smart Metern sowie Energiespeichersystemen muss die Integration und den effizienten Einsatz dieser erneuerbaren Energien ermöglichen.
Die Power-to-X-Technologien dienen der Umwandlung von überschüssigem erneuerbarem Strom in andere Energieträger oder -formen und erhöhen damit die Flexibilität und das Management der Energiesysteme. Hierzu ist eine Vernetzung von Daten- und Energieflüssen erforderlich.
5. Industrie
Wie in den anderen Sektoren wird auch in der Industrie an der Dekarbonisierung von Produktionsprozesse, die bisher auf fossile Energieträger angewiesen waren, durch Elektrifizierung bzw. der Nutzung von grünem Wasserstoff intensiv geforscht und gearbeitet. Noch mehr als im Gebäudesektor ist auch hier ein Gesamtenergiemanagement, Energiespeicherung und ein dynamischer, flexibler Energiebezug beziehungsweise auch Energieabgabe in Strom- und Wärmenetze bereits vorhanden oder in einer AES weiter auszubauen.
In Produktionsprozessen dient das Energiemanagement nicht nur der Optimierung der Energieeffizienz, sondern unterstützt auch den aus Nachhaltigkeitsgründen zunehmend erforderlichen Nachweis des CO2-Fußabdrucks der produzierten Güter (Product Carbon Footprint).
Bei Power-to-X beeinflusst der Wirkungsgrad den ökonomischen Einsatz
Power-to-X-Technologien bilden für die Sektorenkopplung eine zentrale Rolle, weil sie Energie je nach Anwendungsfall umwandeln und so nachfrageorientiert bereitstellen können. Die Umwandlung von erneuerbaren, elektrischen Energien beispielsweise in Wasserstoff oder durch Zugabe von CO2 in E-Fuels, könnte die Herausforderungen der Industrie und des Verkehrssektors lösen. Allerdings ist dabei auf den Wirkungsgrad zu achten. Jeder Umwandlungsprozess benötigt einen Teil der eingesetzten Primärenergie.
Der Wirkungsgrad gibt das Verhältnis an, wie viel der eingesetzten Primärenergie bei einer Maschine in Arbeitsleistung und bei einem Fahrzeug in Bewegungsenergie umgesetzt wird. Grundlage des Wirkungsgrades ist dabei immer die Betrachtung von der Quelle bis zum Rad (Well to Wheel). Eine direkte Stromnutzung ist bei E-Fahrzeugen wirtschaftlich vernünftig, weil etwa 60 bis 70 Prozent des eingesetzten Stroms auch in Vortrieb umgesetzt werden. Bei der Umwandlung in Wasserstoff und der Verstromung in einer Brennstoffzelle würden nur noch 25 bis 30 Prozent der ursprünglich eingesetzten Energie in Bewegung umgesetzt.
Zum Vergleich: Bei einem Verbrenner kommen nur zwischen 20 bis 30 Prozent des Benzins oder Diesels an den Antriebsrädern als Bewegungsenergie an.
Basistechnologien für die Transformation sind vorhanden
Angesichts der rasanten technischen Entwicklung in den letzten Jahren, stehen die notwendigen Innovationen für die AES bereits zur Verfügung und werden in dieser Standardisation Community Map (SCM) mit Bezug auf Normung und Standardisierung betrachtet.
Überblick über die SCM AES:
- Die AES erfordert einen grundlegenden Umbau unserer gesamten Energieversorgung und damit auch der entsprechenden Infrastrukturen. Dieser Aspekt soll im Themenfeld „Erneuerbare Energien“ behandelt werden.
- Grundlage für die AES ist die Energiebereitstellung durch erneuerbare Energien. Dieser Aspekt wird adressiert und wird im Themenfeld „Erneuerbare Energien“ vertieft.
- Der volatile und saisonale Charakter der wichtigsten erneuerbaren Energien erfordert neben anderen Maßnahmen einen deutlichen Ausbau von Energiespeichersystemen, mit denen sich das Themenfeld „Energiespeicher“ befasst.
- Die zuvor ansatzweise adressierten Aspekte der Elektrifizierung und Sektorenkopplung bzw. Power-to-X-Technologien werden im Themenfeld „Sektorenkopplung“ detailliert beschrieben.
An diesen Technologien wird weiter geforscht und optimiert (Energieeffizienz, Ressourcenverbrauch, Vernetzung etc.). Verstärkt rücken allerdings die Organisation und Sicherstellung des Gesamtenergiesystems in den Blick. Hierzu gilt es unter anderem, die vorhandenen Technologien mit neuen Verfahren nicht zur energetisch, sondern auch informationstechnisch zu vernetzen.
- Aufgrund der großen Bedeutung wird die informationstechnische Sektorenkopplung in einem weiteren Themenfeld untersucht. Themen wie Konnektivität, Kommunikation, semantische Interoperabilität, Datenmodelle als auch neuere Entwicklungen wie Digitale Zwillinge, Digitaler Produktpass und Datenräume sollen betrachtet werden.
- Neben den im Themenfeld „Informationstechnische Sektorenkopplung“ genannten Themen werden im Themenfeld „Digitalisierung und Automatisierung“ weitere relevante Themen adressiert werden.
Beitrag teilen
Beitragsbild: elisa_studio / stock.adobe.com
Wir helfen Ihnen gerne weiter
Johannes Stein
DKE Experte All Electric Society
E-Mail: dke-community@vde.com
Marcus Krause
DKE Community Manager
E-Mail: dke-community@vde.com