Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Cord Schlötelburg. Der Gastbeitrag gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht unbedingt die Meinung des VDE dar.
CE-Roadmap
Bei jeder Entwicklung eines Medizinprodukts stellt sich irgendwann die Frage, welche regulatorischen Anforderungen zu erfüllen sind. Soll das neue Medizinprodukt in Europa vermarktet werden, bedarf es einer CE-Kennzeichnung – es gelten die Anforderungen der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR). Wir werden an dieser Stelle immer wieder mit 2 Fragen konfrontiert:
- Welche Anforderungen muss ein Produkt im Detail erfüllen?
- Was kostet es, diese Anforderungen umzusetzen?
Eine „schnelle Antwort“ auf diese wichtigen Fragen ist in den meisten Fällen nicht möglich. Dazu unterscheiden sich die produktspezifischen Anforderungen von Medizinprodukt zu Medizinprodukt zu stark voneinander. Hinzu kommen die Unterschiede zwischen den Unternehmen und den dort vorhandenen Prozessen, Erfahrungen und Kompetenzen.
Aus diesem Grund haben wir die “CE-Roadmap” entwickelt. Die CE-Roadmap erlaubt eine genaue Aussage über die regulatorischen Anforderungen an ein jeweiliges Produkt. Dieses Anforderungsprofil wird ergänzt um eine entsprechende Kostenplanung für die Umsetzung und die Zulassung. Zudem gibt die CE-Roadmap praktische Empfehlungen zum Marktzugang eines Medizinprodukts, zu Bearbeitungszeiträumen oder auch zur Zusammenarbeit mit Benannten Stellen.
In diesem Beitrag stellen wir den Ablauf des CE-Roadmappings und den Nutzen für Hersteller von Medizinprodukten vor.
Der Aufbau der CE-Roadmap
Die CE-Roadmap ist in 10 wesentliche Schritte unterteilt, die sich an den Vorgaben der europäischen Verordnung über Medizinprodukte (EU) 2017/745 (MDR) orientieren und den möglichen Weg eines Produkts in den europäischen Markt beschreiben:
- Anwendungsfall: Welcher konkrete Anwendungsfall liegt vor?
- Zweckbestimmung: Was genau soll das Produkt tun?
- Qualifizierung: Ist das Produkt ein Medizinprodukt?
- Gesetzliche Grundlagen: Welche sind relevant?
- Risikoklasse: Welche hat das Medizinprodukt?
- Akteure: Wer übernimmt welche Aufgabe?
- Herstellerpflichten: Welche Anforderungen sind im Einzelnen zu erfüllen?
- Konformitätsbewertung: Wie wird die Konformität nachgewiesen?
- Überwachung nach dem Inverkehrbringen: Wie wird das Produkt am Markt nachverfolgt?
- Marktzugang: Welche Besonderheiten sind beim Inverkehrbringen zu beachten?
Was beinhalten diese 10 Schritte im Einzelnen?
Der Aufbau der CE-Roadmap
Technologieentwicklungen können einen Plattform-Charakter haben, so dass unterschiedliche medizinische Anwendungsfälle denkbar sind. Falls erforderlich erörtern wir, welcher Anwendungsfall am aussichtsreichsten erscheint und für die CE-Roadmap weiterverfolgt werden soll. Ggf. gibt es mehrere Anwendungsfälle mit unterschiedlichen Anforderungen. Die Analyse eines Anwendungsfalls führen wir anhand eines Mappings von Problem, Lösung und Nutzen durch und fokussieren es auf die jeweiligen medizinischen Anwender- bzw. Zielgruppen.
Zweckbestimmung
Die Zweckbestimmung gibt an, für welche Zwecke ein Produkt verwendet werden darf und ggf. für welche nicht. Sie ist Grundlage für alle nachfolgenden Zulassungsschritte und daher von wesentlicher Bedeutung. Wir analysieren eine Zweckbestimmung auf Eignung und Konformität. Auf Wunsch unterstützen wir bei einem Formulierungsentwurf.
Qualifizierung
Anhand des Vergleichs der Zweckbestimmung mit der Definition von Medizinprodukten in der MDR erörtern wir, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt oder nicht. Oft sind alternative Anwendungsfälle darstellbar. Dadurch können sich andere Vorgehensweisen ergeben, d.h. das Produkt kann in eine andere Risikoklasse eingeordnet werden oder als Nicht-Medizinprodukt auf den Markt kommen. Dies reduziert den Aufwand im Regelfall um ein Vielfaches.
Gesetzliche Grundlagen
Neben den Anforderungen der MDR kommen weitere Anforderungen aus einer Vielzahl von anderen Gesetzen, Rechtsakten, Verordnungen, Normen, Leitlinien oder Empfehlungen fallweise hinzu. Die CE-Roadmap beinhaltet die Analyse dieser zusätzlichen produktspezifischen Anforderungen.
Risikoklasse
Die MDR sieht Risikoklassen für Medizinprodukte vor. Je höher die Klasse desto höher sind die zu erfüllenden Anforderungen. Wir betrachten die obligatorische Risikoklassifizierung anhand der Klassifizierungsregeln und Durchführungsvorschriften und helfen ggf., deren Anwendung zu begründen.
Akteure
Die MDR definiert Wirtschaftsakteure, die unterschiedliche Rechte und Pflichten haben. Die Frage, in welcher Konstellation von Akteuren ein Produkt entwickelt und am Markt bereitgestellt wird, entscheidet maßgeblich darüber, welcher Vermarktungsaufwand entsteht. Dieser muss am Markt refinanziert werden. Wir erörtern daher die Akteurskonstellation als Teil eines tragfähigen Geschäftsmodells.
Herstellerpflichten
Der Hersteller im Sinne der MDR trägt die volle Verantwortung für ein jeweiliges Produkt und bringt dieses mit allen Rechten und Pflichten in Verkehr. Dazu weist er nach, dass sein Produkt eine Reihe von Anforderungen der MDR erfüllt, in dem er:
- eine klinische Bewertung durchführt
- ein Risikomanagementsystem einrichtet
- die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfüllt
- ein Qualitätsmanagementsystem einrichtet
eine Gebrauchsanweisung und Kennzeichnung erstellt - eine technische Dokumentation erstellt
- eine Reihe von Registrierungen vornimmt
- besondere Funktionen etabliert und
- für eine angemessene Haftungsabsicherung sorgt.
Die praktische Umsetzung dieser Aufgaben hängt von den Produkteigenschaften, dem Projektstand und den Gegebenheiten eines Unternehmens ab. Wir führen eine Gap-Analyse durch und erörtern im Detail, welches Delta wie zu füllen ist, welche Dokumente gelten und welche Prüfaufgaben erforderlich sind.
Konformitätsbewertung
Der Hersteller erklärt die Konformität des Produkts, nachdem er ein Konformitätsbewertungsverfahren angewandt hat. Die MDR beschreibt hier mehrere mögliche Verfahren. Die Auswahl hängt von der Art des Medizinprodukts und seiner Risikoklasse ab. Bei Medizinprodukten größer Risikoklasse I wird eine Benannte Stelle eingebunden. Wir unterstützen bei der Auswahl eines geeigneten Konformitätsbewertungsverfahrens, der Analyse der resultierenden Anforderungen und bei der Zusammenarbeit mit einer Benannten Stelle.
Überwachung nach dem Inverkehrbringen
Der Hersteller richtet einen Prozess ein, um sein Medizinprodukt am Markt zu überwachen, mit den zuständigen Behörden und der Benannten Stelle zusammenzuarbeiten und ggf. schwerwiegende Vorkommnisse zu melden (Post-Market Surveillance und Vigilanz, PMSV). Dies beinhaltet auch die klinische Nachbeobachtung am Markt. Die Analyse dieser Aufwendungen ist ebenfalls Teil der CE-Roadmap.
Marktzugang
Der Hersteller bringt die CE-Kennzeichnung an und darf das Produkt im europäischen Binnenmarkt in Verkehr bringen. Hierbei stellen sich oft spezielle Fragen, die sich aus der Art des Produkts, des Vergütungsweges, der Marktsegmente oder des Geschäftsmodells ergeben. In vielen Fällen lassen sich diese Fragen bereits bei der Zulassung eines Medizinprodukt sinnvoll mitbetrachten. Typische Beispiele sind der Nachweis des medizinischen Nutzens als Teil der klinischen Bewertung mit Blick auf die Leistungsvergütung oder die Anforderungen an Datenschutz und Cybersicherheit bei Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Wir erörtern diese Synergien und lassen sie in die CE-Roadmap einfließen.
Der CE Roadmapping-Prozess
Um die CE-Roadmap auszuarbeiten, gehen wir nach einer standardisierten Vorgehensweise in 5 Schritten vor:
- Projektstand: Das CE-Roadmapping startet mit einem gemeinsamen (Online-)Workshop, um die Art des Projekts und den aktuellen Stand im Detail zu erörtern. Ziel ist es, ein gemeinsames Verständnis zum Projekt zu entwickeln. Außerdem stellen wir fest, welche weitergehenden Informationen wir für die Ausarbeitung der CE-Roadmap benötigen.
- Gap-Analyse: Hier erfolgt der Vergleich zwischen Ist und Soll in Bezug auf die Zulassungsanforderungen nach MDR und die erforderliche Dokumentation. Dazu sind ein Formulierungsentwurf für eine Zweckbestimmung, die Unterstützung bei der Qualifizierung als Medizinprodukt sowie die Begründung einer Risikoklasse notwendig.
- Roadmapping: Es folgt die Ausarbeitung einer Roadmap, die den genauen Weg bis zur CE-Kennzeichnung eines Produkts beschreibt. Die Roadmap beinhaltet eine Abschätzung von Arbeitsaufwänden, Kosten, Zeiten und erforderlichen Kompetenzen.
- Bericht: Die CE-Roadmap wird in einem iterativen Verfahren erstellt und dokumentiert.
- Implementierung: In einem zweiten (Online-)Workshop erörtern wir die wesentlichen Umsetzungsschritte inkl. Risikobetrachtung und Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise.
Das Ergebnis der CE-Roadmap
Der Bericht zur CE-Roadmap folgt der Gliederung aus den oben genannten 10 Schritten. Die Analyseergebnisse sind verknüpft mit einer Abschätzung des voraussichtlichen Arbeitsaufwands und beinhalten Angaben zu folgenden Aspekten:
- Spezifische Anforderung
- Fundstelle in der MDR (oder ggf. einer weiteren gesetzlichen Grundlage)
- dazugehörige Guidances, Normen oder anderweitige Regeln für die Umsetzung
- dazugehöriger Arbeitsaufwand
Zudem enthält die CE-Roadmap eine Abschätzung weiterer Kosten, etwa für Lizenzen, Registrierungen, Prüfleistungen oder die Einbindung einer Benannte Stelle, sowie eine Schätzung der Gesamtkosten. Die CE-Roadmap schließt mit Empfehlungen für die weitere Umsetzung und ggf. Ausführungen zu spezifischen Aspekten des Projekts.
Der Nutzen der CE-Roadmap für Hersteller von Medizinprodukten
Hersteller von Medizinprodukten müssen hohe Risiken eingehen, um Innovationen auf den Markt zu bringen. Auflagen und Bürokratie behindern den Marktzugang. Die seit 2021 geltende MDR hat die Situation erheblich erschwert.
Durch die MDR ist der Aufwand für eine CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten stark gestiegen. Um so wichtiger ist eine detaillierte Planung, was an Aufwand und methodischen Fragen auf einen Hersteller zukommt. Viele Probleme lassen sich frühzeitig umgehen, wenn regulatorische Anforderungen bereits von Beginn an berücksichtigt und Fehlentwicklungen vermieden werden. An dieser Stelle liefert die CE-Roadmap wesentliche Informationen und hilft, auch die wirtschaftlichen Risiken des Projekts richtig zu bewerten.
Kleinere, junge oder branchenneue Technologieunternehmen haben zudem besondere Herausforderungen, wenn es um die Zulassung von Medizinprodukten geht. Oft sind die Projekte durch externe Geldgeber finanziert. Hier hilft die CE-Roadmap, richtige Annahmen bei der Darstellung der Finanzierung zu treffen und Vertrauen bei den Geldgebern zu schaffen. Oft wird der Aufwand der Zulassung deutlich unterschätzt.
Fazit
Die CE-Roadmap ist eine praxisorientierte Vorgehensweise, um eine frühzeitige Planung des Zulassungsaufwands für ein Medizinprodukt vorzunehmen. So lassen sich Risiken und Machbarkeit eines Projekts besser einschätzen und teure Fehlentwicklungen vermeiden. Wir helfen Ihnen gerne bei der Umsetzung Ihrer Produktzulassung.
Zur Person
Dr. Cord Schlötelburg ist Leiter des Geschäftsbereichs Health der VDE Gruppe. Der VDE erstellt Studien und Positionen, vermittelt Wissen in Fachveranstaltungen, erarbeitet Standards und Normen, erbringt Prüf- und Zertifizierungsleistungen und bietet praktische Unterstützung bei allen Fragen rund um die Zulassung und CE-Zertifizierung von Medizinprodukten und Software.
Bis 2018 hat Herr Dr. Schlötelburg die Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE geleitet. Von 2002 bis 2009 war Herr Dr. Schlötelburg als Berater bei der VDI/VDE-IT GmbH in Berlin tätig und hat sich dort mit unterschiedlichen Innovationsfragestellungen im Kontext von Biotechnologie und Medizintechnik befasst.
Zuvor war Herr Dr. Schlötelburg wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Charité, Universitätsmedizin Berlin. Er hat Biotechnologie studiert und im Fachgebiet molekulare Mikrobiologie promoviert.