Microgrids: Wichtiger Beitrag für mehr Resilienz und Versorgungssicherheit in Energiesystemen

Mit Erneuerbaren Energien wächst die Anzahl dezentraler Stromerzeugungsanlagen und an Energiespeichern. Sie können netzdienlich Strom einspeisen oder auch in kleinen Einheiten als Microgrids zusammengefasst werden. Solche Inselnetze können unabhängig vom Stromnetz die Energieversorgung in Wohnquartieren, Dörfern oder Stadtbezirken sichern.

Als Grundlage beschreiben die internationalen Normenreihen IEC 61850 und IEC 62351 die Standards für Aufbau, Organisation und Kommunikation von Microgrids intern und mit dem Stromnetz. Expertinnen und Experten arbeiten unter Leitung der DKE an der Weiterentwicklung dieser Normen.

Ein Beitrag von Sebastian Kosslers.

Sebastian Kosslers

Sebastian Kosslers

Normungsmanager, DKE

Inselnetze managen die dezentrale Stromverteilung

Ein Microgrid ist ein lokales intelligentes Stromnetz. Auf Deutsch bedeutet Microgrid „Inselnetz“. Fachleute sprechen auch von einem Teilnetz. Sie sind dabei von einem Smart Grid zu unterscheiden. Als Smart Grid werden intelligente Stromnetze der Netzbetreiber bezeichnet, die regelbasiert und automatisch für eine Netzstabilität sorgen.

Ein Microgrid ist ein Zusammenschluss von Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft oder Blockheizkraftwerken sowie Energiespeichern zu einem lokalen Netz. Alle Komponenten sind über ein bidirektionales Leitungs- und Kommunikationsnetz sowie eine Software mit lokalen Verbrauchern verbunden. Microgrids können autark und damit unabhängig vom Smart Grid (Off Grid) agieren und eine dezentrale und lokale Stromversorgung aufrechterhalten. Oder sie können als eine Einheit in ein Smart Grid eingebunden sein.

Abhängig von der schwankenden Stromverfügbarkeit aus erneuerbaren Energien sorgen sie durch intelligente Steuerungssoftware für Versorgungssicherheit und Resilienz. Die Software ist so programmiert, dass sie große Verbraucher bei geringer Stromverfügbarkeit abschalten kann oder ihnen ein Signal gibt, wenn sie ans Netz gehen dürfen. Wichtige Basisfunktionen dieser lokalen Ebene wie Beleuchtung, Wasserversorgung und Telekommunikation haben Vorrang.

Lokale Netzstabilität und Unabhängigkeit vom Smart Grid

Microgrids sind übersichtlicher und weniger komplex im Vergleich zu den Verteil- und Übertragungsnetzen. Sie sind deshalb auch einfacher zu steuern und zu überwachen. Bei einer Störung sind Fehlerursachen schneller aufzuspüren und zu beheben. Bei großem Stromangebot ohne Nachfrage füllen sich die Speicher. Große Verbraucher wie E-Fahrzeuge werden geladen. Umgekehrt können sie mit dem in ihren Batterien gespeicherten Strom bei Unterversorgung dabei helfen, das Inselnetz zu stabilisieren. Diese Architektur prädestiniert den Einsatz von Microgrids in weitentlegenen Gebieten des globalen Südens. Hier haben sie in vielen Dörfern eine Elektrifizierung erst möglich gemacht.

Je nach Angebot und Nachfrage können Microgrids Strom ins Smart Grid der Verteilnetzbetreiber oder benachbarte Microgrids liefern, wenn diese Bedarf anmelden. Oder sie beziehen Strom aus dem Netz, wenn die eigene Produktion gerade nicht ausreicht. Bei einem Blackout, der statistisch in Deutschland äußerst selten vorkommt, bleibt die lokale Netzstabilität im Microgrid gewährleistet.

Microgrids sind hervorragend dafür geeignet, die Elektrifizierung im globalen Süden zu ermöglichen und so eine Energie-Infrastruktur zu schaffen.

Microgrids stellen Stromversorgung im Katastrophenfall sicher

Microgrids bieten auch Vorteile bei der Bewältigung von Katastrophen. Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes, Feuerwehren und Krisenstäbe bleiben lokal handlungsfähig. Das zeigen beispielsweise Erfahrungen in Japan. Aufgrund wiederkehrender Starkwetterereignisse wurde das japanische Übertragungsnetz in einigen Regionen durch die Organisation von Microgrids stabilisiert. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima bemerkten die dort umliegenden Kommunen daher die Havarie des Atomkraftwerks und den dortigen kompletten Stromausfall zunächst gar nicht. Die Microgrids hatten sich in den Inselmodus geschaltet und stellten die Stromversorgung sicher.

Vielleicht hätten Microgrids auch die Folgen und die Bewältigung der Flutkatastrophe im Ahrtal beherrschbarer gemacht. Mehr als drei Wochen waren weite Teile der Stromversorgung im gesamten Flutgebiet unterbrochen, weil mehr als 100 Trafostationen und die Hauselektrik in den betroffenen Gebieten geflutet wurden. In dezentral organisierten Microgrids wären nicht unbedingt notwendige Verbraucher und gefährdete Erzeuger abgeschaltet worden. Die restlichen Bestandteile des Microgrids in sicheren Gebieten hätten weiter funktioniert und die Notfallversorgung sichergestellt.

Geringere Ausfallwahrscheinlichkeit und höhere Resilienz

Wenn das gesamte Stromnetz in Microgrids organisiert wäre, würden sich für Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber ebenfalls Vorteile ergeben. Abhängig vom aktuellen Zustand, könnten sich alle Microgrids im Übertragungsnetz entweder als Verbraucher, Speicher oder Stromlieferant anbieten. Diese Dezentralität von Stromressourcen würde die Ausfallwahrscheinlichkeit verringern und somit die Resilienz erhöhen.

Bei einer lokalen Störung in einem Microgrid würden benachbarte Microgrids einspringen und die Ausfallsicherheit der Stromversorgung erhöhen. Bei einer Störung im Übertragungsnetz könnten sich Microgrids gegenseitig unterstützen. Und bei einem Kraftwerksausfall oder längeren und großflächigen Blackouts könnten intakte Microgrids gemeinsam die Versorgung beispielsweise der Beleuchtung, der Kranken- und Kühlhäuser oder auch Telekommunikationsnetze sowie Polizei, Feuerwehr selbst in einer Großstadt gewährleisten.

IEC 61850 und IEC 62351 sorgen für sicheres Management

Herzstück eines Microgrids bilden neben Erzeugern, Speichern und Verbrauchern elektronische Komponenten wie Sensoren und Aktoren, Software und ein bidirektionales Leitungs- und Kommunikationsnetz. Über diese elektronischen Komponenten steuert sich ein Microgrid regelbasiert selbst. Grundlagen bilden die internationalen Normenreihen IEC 61850 und IEC 62351.

Die Normenreihe IEC 61850 definiert Regeln für ein Übertragungsprotokoll der Leittechnik elektrischer Schaltanlagen der Mittel- und Hochspannungstechnik für eine automatisierte Steuerung.

Anforderungen der Normenreihe IEC 61850:

  • Vorgaben für Schaltanlagen
  • Informationen über Funktionen und Anforderungen an Komponenten
  • Regeln für den Informationsaustausch zur Überwachung, Steuerung und Messung sowie den Schutz eines Smart- und Microgrids
  • Digitale Schnittstellen für Primärdaten
  • Konfigurationssprache

Die Normenreihe IEC 62351 thematisiert Cybersecurity für die Kommunikationsprotokolle in der Energieversorgung. Sie beschreibt und definiert Mindestanforderung an eine sichere Datenübertragung und Datenverarbeitung in Energiemanagementsystemen wie Vertraulichkeit, Datenintegrität, Authentifizierung und Unleugbarkeit.

Maschinenlesbare Regeln durch gemeinsame Semantik und Wörterbuch

Bereits 2004 in der ersten Version der IEC 61850 stand die Integration dezentraler Energieressourcen sowie die Verwaltung von Großkraftwerken auf der Anforderungsliste der Normenreihe. Sie verfolgte das Ziel, die beste Abdeckung der gesamten Versorgungsseite in anfänglich großen Übertragungsnetzen bereitzustellen. Mittlerweile sind diese Regeln auch auf Komponenten in Microgrids ausgeweitet.

Ein weiteres Ziel der Normenreihe IEC 61850 ist es, die Interoperabilität zwischen Komponenten und Geräten verschiedener Zulieferer herzustellen. Dafür sorgen standardisierte Datenmodelle sowie eine allgemein verbindliche Semantik.

Alle Geräte, die nach der Normenreihe entwickelt und zertifiziert wurden, sind untereinander kompatibel und in der Lage, die Datenmodelle und die Semantik anzuwenden. Die Normenreihe IEC 61850 ermöglicht so eine innovative und offene Schnittstellenfähigkeit. Damit gewährleistet sie eine herstellerunabhängige und skalierbare Architektur, mit der neue Energielandschaften gestaltet und bestehende weiterentwickelt werden können.

Blockchain ermöglicht rechtsichere Abrechnung im Microgrid

Eine spannende Ergänzung neben diesen Normenreihen könnte die Blockchain-Technologie darstellen. Fachleute evaluieren bereits in Pilotprojekten deren Einsatz für Abrechnungsmodelle. Wenn Stromlieferungen in einem Microgrid innerhalb von Minuten- oder gar Sekundenabständen in alle Richtungen ablaufen, sind parallel auch Zahlungsströme zu organisieren. Der Leistungsaustausch „Geld gegen Strom“ könnte über eine zentrale Handelsplattform wie der European Energy Exchange (EEX) stattfinden. Oder die lokalen Netzbetreiber bauen Handelsplattformen auf. Ab einer gewissen Anzahl von Marktteilnehmern entsteht aber ein riesiger Verwaltungsaufwand.

In einem Microgrid mit automatischer Steuerung der Stromflüsse ist eine zentrale Handelsplattform zu aufwendig. Vor allem, wenn künftig Millionen Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, tausende Microgrids und Millionen Verbraucher*innen, die gleichzeitig mit ihren Elektroautos auch zu Stromlieferanten (Prosumer) werden, müssen auch die Leistungsbilanzierung und die Zahlungsströme automatisiert werden. Hier kommt die Blockchain ins Spiel.

Fälschungssicheres Handelssystem

Bekannt ist die Blockchain von Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum. Mit diesem System lassen sich aber nicht nur Währungen managen und handeln, sondern alle möglichen Werte, Verträge und sonstige Assets in Transaktionen austauschen.

Dokumentiert werden die Transaktionen in einem Register, dem Distributed-Ledger, das identisch auf jedem Computer (Knoten; Knots) der Partner liegt. Jede Transaktion wird simultan in jedem Knot und jedem Ledger als ein unveränderlicher Datensatz verbucht. Kein Teilnehmer einer Blockchain kann in dem Ledger Änderungen vornehmen. Jede Transaktion ist als Datenblock mit dem vorhergehenden und dem nachfolgenden unumkehrbar verbunden. Deshalb auch der Name „Blockchain“.

Die Technik gilt als fälschungssicher und lässt sich für alle Arten geschäftlicher und privater Transaktionen einsetzen. Aus diesem Grund lassen sich auch gelieferte Kilowattstunden dokumentieren und verwalten.

Dezentrale Handelsplattformen erleichtern den Marktzugang

Erste Projekte in Deutschland zeigen, dass die Blockchain im Energiehandel mit einer großen Anzahl von Akteuren sinnvoll sein könnte. Weil direkter Handel zwischen zwei Akteuren (Peer to Peer) möglich ist, werden Intermediäre überflüssig, wodurch gleichzeitig die Transaktionskosten sinken.

Für einzelne Photovoltaikanlagenbetreiber, aber auch komplette Microgrids, könnte eine dezentrale Handelsplattform mit der Blockchain-Technologie den Marktzugang erleichtern. Die Zusammenarbeit sowohl mit regionalen Verteilnetzwerken (VNB) als auch mit Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) oder zwischen einzelnen Microgrids ließe sich weitgehend unbürokratisch automatisieren. Ein Microgrid würde seine Stromüberschüsse auf der Plattform anbieten. Andere Microgrids, VNB oder ÜNB könnten die Überschüsse für Netzstabilisierung und der Versorgungssicherheit zum Höchstpreis kaufen, wenn das Angebot niedrig wäre. Umgekehrt könnte ein Microgrid auch seine Speicher füllen, wenn Überkapazitäten besonders günstig auf dem Markt verfügbar wären. Alle beteiligten Marktteilnehmer würden Angebot und Nachfrage sowohl nach Bedarf als auch nach dem Preis aushandeln.

Die Blockchain-Technologie ermöglicht einen direkten Energiehandel und macht Intermediäre überflüssig, wodurch die Kosten sinken.

Pilotprojekte demonstrieren die Praxistauglichkeit von Microgrids​

So groß die Vorteile von Microgrids auf der einen Seite sind, so haben sie auf der anderen Seite auch Nachteile. Sie sind beispielsweise mit einer höheren Anfangsinvestition verbunden, denn anders als bei dem Strombezug auf einem örtlichen Verteilnetz, verursachen die Komponenten zum Management eines Microgrids zusätzliche Kosten für die teilnehmenden Erzeuger und Verbraucher. Da es bisher keine Komplettlösung von der Stange gibt, sind Microgrids bisher Einzelanfertigungen. Die Verwendung von Normen und Standards kann diese Technologie jedoch in die Breite führen.

Einige sogenannte „Reallabore der Energiewende“ demonstrieren bereits die Praxistauglichkeit von Microgrids. Vor allem Kommunen sowie Betreiber größerer Quartiere in Städten vermelden positive Erfahrungen. In Hamburg testeten Pilotprojekte mit Microgrids den Blockchain-Einsatz. In Berlin ist seit April 2022 ein Microgrid in einem ehemaligen Industriequartier gestartet, dass gewerbliche Mieter mit selbst erzeugtem PV-Strom versorgt. In hunderten Dörfern haben sich Politik und Bürger*innen in Bürgernetzen zusammengeschlossen, um ihre erzeugte Energie in einem Microgrid zu managen, intelligent zu verteilen und die überschüssige Energie gewinnbringend zu verkaufen.

Fazit: Energiewende wird mit Microgrids abgesichert​

Erneuerbarere Energien sind das Rückgrat der Dekarbonisierung. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern stellt aber wegen der schwankenden Verfügbarkeit von Sonne und Wind große Herausforderungen an die Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber.

Microgrids könnten für die Netzstabilität und die lokale Versorgungssicherheit eine wichtige Rolle bei der Erhöhung der Resilienz spielen. Zukünftig könnten sie deshalb auch für die Energiewende der „All Electric Society“ eine Schlüsselrolle einnehmen.

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Über Sebastian Kosslers

Sebastian Kosslers betreut als Technical Manager Standards bei der DKE das Thema Energiewende. Darunter fallen unter anderem Netzleittechnik, Systemaspekte der elektrischen Energieversorgung und elektrische Energiespeichersysteme. Konkret geht es um die Themenentwicklung rund um Microgrids, Virtuelle Kraftwerke, Sektorenkopplung, Energy Data Spaces und Künstliche Intelligenz in der Energietechnik.

Er ist zertifizierter Six Sigma Greenbelt und hat im Bereich der Energietechnik mehrere Six Sigma Blackbelt Projekte zur Qualitätsverbesserung mit internationaler Beteiligung geleitet.

Beitragsbild: Yingyaipumi / stock.adobe.com

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